Erst baden, dann biken

Lignano
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Mit dem Drahtesel unterwegs im Hinterland von Lignano am Golf von Venedig

Lignano an der Adriaküste steht für unbeschwerten Strandurlaub. Doch das neue Motto lautet: bewegen statt liegen. Die Stadt bietet kostenlose E-Biketouren, eine Fähre für Radler und Schiffe, die Räder transportieren. Die Ausflüge mit dem Elektrorad ins Hinterland erweitern nicht nur den Bewegungsradius, sondern auch den Horizont.

Es dauert ein wenig, dann hat auch der letzte in der Gruppe den „Hund“ geschafft. Die Yoga-Einheit ist zu Ende und nicht nur die Teilnehmer applaudieren zufrieden. Im Sand stehen auch ein paar Zuschauer, die höflich klatschen. Es ist ein eher ungewöhnlicher Ort für Bewegungsübungen. Vor uns das Meer, hinter recken sich die Hotels von Lignano in den italienischen Himmel. Der Ort liegt an der Adriaküste, auf halber Strecke zwischen Venedig und Triest. Wie eine kleine Spitze ragt die Halbinsel, auf der im Winter gerade mal 6.000 Menschen leben, ins Meer. Jetzt, im Sommer, versammeln sich Touristen aus halb Europa unter den 10.000 bunten Sonnenschirmen, die sich entlang des acht Kilometer langen Strandes reihen. Zwischen Juni und September kommen mehr als drei Millionen Besucher. Sie suchen Sonne, Meer und mehr. „Der pure Badeurlaub ist nicht mehr so gefragt wie früher. Die Leute wollen Abwechslung, Ausflüge machen. Und wir versuchen, das entsprechende Angebot zu schaffen“, sagt Martin Manera, Präsident von Lignano Holiday.

Kostenloser Radverleih – Vorfahrt fürs Elektrorad

In diesem Zusammenhang setzt Lignano wie kaum eine zweite Region am Mittelmeer auf das Fahrrad. Es existieren bereits 30 Kilometer meist breite Radwege, die sich vorbei an den Hotels, Restaurants und Wohnungen zum Strand und wieder zurückschlängeln. Einige Passagen sind autofrei. Es wurden neue Routen durch den Pinienwald eröffnet. Privatgrund hat sich in Radgrund verwandelt. Zudem können die radelnden Touristen mit einer Fähre über den Tagliamento setzen, um sich einen großen Umweg in Richtung Jesolo zu sparen. Neu ist auch, dass die Schiffe, die in Lignano ablegen und Marano Lagunare oder Grado ansteuern, Räder mitnehmen. „Niemand muss mehr mit den Autos losfahren, um andere Orte zu besuchen“, frohlockt Manera. Die Verwaltung der Stadt gibt zwei Mal täglich kostenlos Räder aus, mit denen Touristen auf eigene Faust losziehen können. Man muss nur den Personalausweis zücken, der Geldbeutel kann stecken bleiben. Zudem gibt es jeden Tag einen geführten Radausflug in die Umgebung. Auch dieser ist gratis. Nicht einmal für die zur Verfügung gestellten E-Bikes muss der Tourist zahlen.
Abseits der Strände das „echte“ Italien im Hinterland kennenlernen

Wir haben uns den Königsausflug rausgepickt. Es geht ins 75 Kilometer entfernte Spilimbergo. Die ersten 20 Kilometer legt man mit dem Bus zurück, der die Räder huckepack hat. Start ist dann in Latisana. Kurze Bikeeinführung, ab in den Sattel. Aus der Ferne grüßen die slowenischen Berge, auf die man zusteuert. Der Radfahrer passiert kleine Orte wie Ronchis, Fraforeano oder Camino al Tagliamento. Links Feigen, rechts Tomaten, dazwischen Rebzeilen. Die Einwohner nicken stumm, aber freundlich. Es ist das platte italienische Land. Man kann kaum glauben, dass die Strandabschnitte mit Tausenden Urlaubern nur ein paar Kilometer entfernt sind. Und auch das überfüllte Venedig ist letztlich nur einen Steinwurf entfernt.

Was klopft denn da?
Zu Besuch in der einzigen Mosaikschule der Welt

Die Strecke ist einfach, weil flach und geradeaus. Links verläuft der Tagliamento, einer der letzten Flüsse in Europa, der sich noch frei in seinem Flussbett bewegen darf. Er mündet in Lignano ins Meer. Immer wieder tauchen Mountainbiker mit dick bepackten Taschen auf, die wohl noch einige Tage bis zu ihrem Ziel unterwegs sind. Wir dagegen haben Spilimbergo nach gut drei Stunden erreicht. Die Stadt ist nicht zufällig ausgewählt, es besteht eine Art Partnerschaft mit Lignano. In Spilimbergo steht die einzige Mosaikschule der Welt, regelmäßig fertigen die Lehrer mit ihren Schützlingen Kunstwerke an, manche landen auch in Lignano. Wir dürfen einen Blick hineinwerfen. Fußböden und Wände bestehen zum größten Teil aus kleinen, kunstfertig zusammengesetzten Steinchen, die mal antike, mal moderne, abstrakte Motive ergeben. Aus einem Klassenzimmer ist Klopfen zu hören. Eine junge Frau spaltet mit dem Hammer behutsam Glassteine. Es herrscht kreatives Chaos. Skizzen, Messer, halbfertige Motive, dazwischen ein Pinsel und ein Wasserbecher. Wir dürfen selbst ein bisschen hämmern. Es ist gar nicht so einfach, die Teile passend zu machen. Viel zerbröselt in unseren Händen. Zum Abschluss drehen wir eine Runde durch den Garten, wo Blumen, Pflanzen und Tiere aus Mosaiksteinchen eine Art grünen Kunstraum unter blauem Himmel bilden. Radguide Fabio wartet dort unter einem Maulbeerbaum. Er reckt sich und pflückt ein Blatt. „Das ist die Lieblingsspeise der Seidenraupen.“ Früher verdienten sich die Frauen in Spilimbergo ein Zubrot, indem sie auf ihren Dachböden die kleinen Raupen züchteten, um sie dann an die Spinnereien zu verkaufen. Danach bringt uns der Bus zurück ans Meer. Der logistische und finanzielle Aufwand für die Touren ist groß. Die Region nimmt alljährlich 100.000 Euro in die Hand, um das Projekt mit den Gratistouren in den Sommermonaten zu stemmen.

Das Meer ist blau, Lignano ist grün

Was bei der Rückkehr nach Lignano ins Auge sticht: Die Stadt ist auffällig grün, mit 1,2 Millionen Pinienbäumen, dazu hunderte Blumenbeete entlang der Straßen. Der Küstenort zählt zum Kreis der „tree cities oft the world“, ein weltweites Programm der UN, um Natur in der Stadt zu fördern. Lignano leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet so viel wie „großer Wald“. In den 1950er-Jahren plante Stadt- und Star-Architekt Marcello d‘Olivo das Areal Pineta, heute eines von drei Vierteln Lignanos. Er legte die Straßen schneckenförmig an, um der Natur mehr Raum zu geben. Jedes Haus sollte einen großen Garten erhalten. Heraus kamen am Ende auch viele Villen, die heute noch Architektur-Studenten anlocken.

Lignano nutzte die Gunst der Stunde, verschenkte die Grundstücke teils an Promis, die wiederum die Schönen und Reichen anlockten. So fand auch Ernest Hemingway den Weg nach Lignano. Der mehrtägige Besuch schlug voll ein: Zeitungen in Italien und den USA berichteten über das angebliche Lieblings-Badedomizil des Schriftstellers, der Berichten Einheimischer zufolge allerdings kein begeisterter Schwimmer gewesen sein soll. Würde er sich heute am Strand aufhalten, er wäre überwältigt vom Angebot: denn auch direkt am Wasser geht es heutzutage nicht nur ums Schwimmen und Plantschen. In Lignano sind Megarutschen aufgebaut. Kinder turnen durch XXL-Spielplätze, Väter durch Freiluft-Fitness-Studios. Yoga- und Stretchingkurse sind Alltag. Sonne und Meer reichen nicht mehr. Wir schnappen uns ein Stand-Up-Paddle, plumpsen aber dauernd ins Wasser. Diesmal gibt es keinen Applaus wie beim Yoga, sondern nur mitleidige Blicke.

Christian Schreiber

Mehr Informationen unter:
www.lignanosabbiadoro.it/de oder
www.roncomargherita.it/de/la-scuola-mosaicisti-del-friuli

ANREISE
Per Flugzeug nach Venedig. Von dort Bus-Shuttles nach Lignano. Per Zug über München nach Venedig und ebenso mit Bus ans Ziel. www.bahn.de

UNTERKUNFT
Die Auswahl ist riesig, von Campingplatz bis Fünf-Sterne-Hotel ist alles dabei. Lignano verfügt über rund 70.000 Gästebetten in den drei Stadtteilen Sabbiadoro, Pineta und Riviera.

Bikes/Ausflüge
Wöchentlich kostenlose E-Bike-Touren nach Spilimbergo, Caorle und Grado. Kostenlose Touren mit normalen Rädern in und um Lignano. In beiden Fällen werden auch die Fahrräder gratis gestellt. Zudem: Gratis-Verleih von Rädern zur freien Nutzung.

Wer einen der üblicherweise eine Woche dauernden Kurse in der Mosaikschule Spilimbergo belegen möchte, kann sich hier anmelden: https://scuolamosaicistifriuli.it/en/short-courses/

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