Ein Leben für Rock’n’ Roll, Boogie und Petticoat

Oldtimer
Foto: Stefan Raab

Martin Stenull weiß, warum sich das Fahren mit einem Oldtimer anfühlt, als würde man in der „guten alten Zeit“ leben

Besonders in der zweiten Lebenshälfte schaffen sich viele Männer einen Oldtimer an und gehen mit ihm auf ausgedehnte Reisen. Martin Stenull, 56, wollte nicht so lange warten und hat sich seinen Traum vom edlen Automobil bereits mit 27 Jahren erfüllt. Seine Wahl fiel auf einen Mercedes 190 SL, Baujahr 1958. Der musste komplett überholt werden; daher zerlegte ihn Martin Stenull über viele Jahre und baute ihn dann wieder zusammen. Der Motor musste überholt werden, ebenfalls Getriebe und Achse. Gar nicht so einfach, meint der Münchner, aber als gelernter Fernmeldeelektroniker habe er gelernt zu drehen, zu fräsen und zu schneiden. Das habe er bereits bei seinem Motorrad so gemacht. Und als er nicht mehr weiter wusste, hat sich der Oldtimerfan an seine Vereinsmitglieder des Mercedes Veteranen Club in München gewandt, die ihm immer weiterhelfen konnten.

Das Ergebnis ist eine Augenweide. Fast jeder Verkehrsteilnehmer kann sich am roten Cabrio erfreuen, wenn Martin Stenull mit ihm die Straße entlangfährt. So wird der Oldtimerbesitzer regelmäßig auf sein elegantes Fahrzeug angesprochen, das ein Gutachter zuletzt auf einen niedrigen sechsstelligen Bereichgeschätzt hat: Ob man es fotografieren dürfe oder für ein Fotoshooting ausleihen könne? Besonders beeindruckend ist die Formensprache des Mercedes. Fahrer und Beifahrer haben das Gefühl in rote Wellen hineinzufahren. Im Cockpit sorgen Druck- und Zugschalter sowie Lenkrad und Armaturen für optische Highlights. Das macht glücklich – diese Kurven aus den Fünfzigern, die so gar nicht in unsere kühlen, geradlinigen Zeiten hineinpassen. Aber gerade deshalb vielleicht erregt dieser Oldtimer so viel Aufmerksamkeit.

7.000 Kilometer im Jahr unterwegs

Martin Stenull, der im Vertrieb für einen internationalen IT-Dienstleister arbeitet, weiß sich auf die Bedürfnisse seiner Kunden gut einzustellen. Das macht er auch bei seinem schönen „Oldie“. Mit dem Cabrio fährt er sehr vorausschauend, denn die Trommelbremse funktioniert anders als bei einem normalen Kfz. Der Bremsweg ist länger. Da das Fahren ohne Servolenkung anstrengend ist, gilt es beim Ein- und Ausparken vorsichtiger als üblich zu sein. Heute, nach den umfangreichen Restaurationen, bezeichnet Martin Stenull seinen roten SL als äußerst leistungsfähig und zuverlässig. Panne? Fehlanzeige! Nach eigener Aussage fährt er damit rund 7.000 Kilometer im Jahr. Die weiteste Fahrt ging über die Alpen durch die Toskana bis kurz vor Rom, insgesamt rund 2.500 Kilometer, und auch in Venedig ist der gebürtige Mannheimer mit dem roten Flitzer zu Ostern gewesen.

Das Fahrgefühl – ganz schön intensiv

Aber was ist das Besondere am Oldtimer fahren? Das Fahrgefühl sei insgesamt intensiver, antwortet Martin Stenull. Die Geschwindigkeit bei den regelmäßigen Club-Ausfahrten, die zwischen Frühjahr und Herbst unternommen werden, beträgt zwar maximal 50 km/h, jedoch würden die Sonnenstrahlen deutlicher wahrgenommen werden – gerade wenn man mit dem Oldtimer in den Bergen, zum Beispiel in der Nähe eines Gletschers, unterwegs ist. Besonders ist ihm die Ausfahrt auf den Großglockner in Erinnerung geblieben. Morgens um vier Uhr setzte sich die Oldtimer-Gruppe von Zell am See in Bewegung, um bei Sonnenaufgang auf dem Großglockner anzukommen und dort vom lokalen Wirt einen Cappuccino gereicht zu bekommen.

Die Odenwald-Ausfahrt im Juni 2017 hat Martin Stenull selbst organisiert. Seine Club-Mitglieder und er seien so im Land der Nibelungensage unterwegs gewesen und hätten einen wichtigen Teil Deutschlands kennengelernt. Höhepunkte mit Führungen waren Burg Katzenstein, Schloss Heidelberg, das Automuseum Dr. Carl Benz, Schloss Schwetzingen und Kloster Maulbronn. Aber das ist nicht alles. So wird auch Wert auf Rock’n’ Roll, Boogie und Petticoat gelegt, schließlich sollen die Abende auch stilgerecht verlaufen. Nach einer Ausfahrt, die in der Regel fünf Tage dauert, fertigt ein Mitglied ein umfangreiches Fotoalbum an, mit einer überaus bilderreichen Chronologie der zusammen verbrachten Tage. So lässt sich auch Monate danach das Leben im Oldtimer-Zeitalter verbringen.

Der Weg ist das Ziel

„Mit der Zeit reisen“ oder der „Weg ist das Ziel“ wären die richtigen Slogans, wenn es darum geht, das Fahren mit einem Oldtimer zu beschreiben. Sagt Martin Stenull. Gerade bei Ausfahrten innerhalb Deutschlands könnten die vielfältigen Landschaften wie Berge und Flusstäler sowie die vielen kleinen Dörfer in Ruhe betrachtet werden: Entschleunigtes Reisen bei Ortsgeschwindigkeit. Auf die Frage, worauf unsere Leser*innen achten sollten, wenn sie sich einen Oldtimer zulegen wollten, entgegnet Martin Stenull: „Welchen Oldtimer, Limousine oder Coupé wünsche ich mir? Will ich mir einen Jugendtraum erfüllen? Welches Budget steht zur Verfügung? Kann ich selbst schrauben oder muss ich restaurieren lassen?“ Zeitschriften wie Oldtimer Markt und Oldtimer Praxis könnten mit vielen Tipps weiterhelfen. Der Kauf eines Oldtimers sei bei mobile.de und autoscout24.de sowie über Mund-zu-Mund-Propaganda in Oldtimer Clubs möglich.

Man spürt, hier spricht ein Fachmann, der noch ein wichtiges, persönliches Reiseziel nennt: das Elbsandsteingebirge. Vielleicht kann Martin Stenull mit seinen rund einhundert Clubmitgliedern bald den Glanz der Fünfziger Jahre in die Sächsische Schweiz bringen.

Stefan Raab

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner