
Ich liebe Musik. Also, ich meine richtige Musik. Dass wir uns nicht falsch verstehen: Sie muss nicht nur wohlklingende Dur-Akkorde beinhalten und in die populäre Schiene passen. Sie darf auch ein bisschen schräg klingen. Es kommt auf die Umstände an. Jazzmusik, Latin, Bebop, Fusion: Kein Problem, wenn Zeitpunkt, eigene Stimmungslage und Ort des Konzerts stimmen. Ich will solche Musik in jedem Fall live erleben, dann kann ich mich auf sie einlassen.
Blasmusik, Oberkrainer, Trompetenecho: Kein Problem, wenn Zeitpunkt, eigene Stimmungslage und Ort des Konzerts stimmen. Es gibt Gelegenheiten, zu denen ich gut gelaunt im Bierzelt Platz nehme und bei Polka-Klängen den Arm beim Nachbarn einhänge. Auch das. Ein Abend mit Mozart oder Beethoven: jederzeit. Mit Debussy oder Strawinsky: jawohl. Mit Elton John und Eric Clapton: klar doch. Mit Helene Fischer und Karel Gott: Mein Gott, weshalb nicht – wenn die Umstände stimmen.
Am Abend, nach anstrengenden Arbeitstagen, habe ich bislang wie ferngesteuert das Radiogerät eingeschalten. Ich bevorzuge zum Abendessen den Sender Bayern 1, wahlweise SWR 1. Sie haben es erraten? Ja, ich bin jenseits der 50. Mein Sohn, logischerweise, deutlich unter dieser magischen Grenze.
Seit geraumer Zeit haben wir ein Problem. Unser Musikgeschmack liegt so weit auseinander wie die Sonne vom Mond. Und seit wir eine neue Anlage haben, kann er seine speziellen Songs, denen ich die Bezeichnung Musik aberkenne, via Handy über unsere Anlage laufen lassen. Ich komme am Feierabend also nach Hause und höre aus den Lautsprechern nur Krach und Getöse. Immerhin hat das meine Kreativität geweckt, die unlängst in folgender Wortkreation mündete: Weshalb sich seine Generation diese „akustische Umweltverschmutzung“ antue, wollte ich wissen. „Das kann euch Jungen doch nicht wirklich gefallen“, mutmaßte ich.
Seitdem befindet sich mein Sohn im Angriffsmodus. Seitdem führen wir, geht es um die Radiosender-wahl beim Abendessen, Gespräche in Moll. Und, noch schlimmer – er schlägt mich mit meinen eigenen Waffen. Ob mein Erinnerungsvermögen intakt sei, wollte er unlängst mit verschmitztem Lächeln wissen und schob die Frage hinterher: „Was haben eigentlich Opa und Oma damals gesagt, als du Beatles oder Rolling Stones gehört hast? Oder noch schlimmer: deinen Blues aus Texas und Chicago.“
Ich musste schlucken, blickte zurück und sah, wie meine Eltern mit schöner Regelmäßigkeit in mein Zimmer stürmten und befahlen, umgehend dieses Geschreie und Gedudel abzuschalten. Ob es den Sängern auf meinen Schallplatten nicht gut gehe, wollte mein Vater wissen und lästerte: „Das ist nichts anderes als eine akustische Umweltverschmutzung.“
Ja, zugegeben – ich habe diese Wortkreation tatsächlich einfach so übernommen. Trotzdem will ich auch künftig Bayern 1 beim Abendessen hören!
Freddy Schissler
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